Unterschlupf wechseln

Maria Böhm – 1984
Franziska Cechal – 1984
Anna Kucher – 1984

 

Rosalia Istas (geb. Wasserstein) Vater wurde 1939 deportiert Die Familie musste in eine Einzimmerwohnung im 2. Bezirk, Novaragasse 32, in Wien übersiedeln. Am 19. Mai 1942 wurden Rosalias Mutter und alle jüdischen Einwohner des Hauses von der SS mit Peitschenhieben auf einen Lastwagen getrieben, geschlagen und getreten. Rosalia arbeitete als Schneiderin bei Jersey-Modelle, ihre Schwester verrichtete Nachtarbeit in einer Kartonagefabrik.

Rosalia war bei der Arbeit, als die Mutter abgeholt wurde. Sie wandte sich an die Israelitische Kultusgemeinde. Dort erfuhr sie, dass ihre Mutter nach Theresienstadt deportiert worden sei. Rosalia Ista solle sich in der Sperlgasse melden, um nach Polen verschickt zu werden. Sie beschloss, der Anordnung nicht zu folgen.

Franziska Cechal kannte sie durch ihren Bruder. Franziska wohnte 1942 mit ihrer vierjährigen Tochter in einer kleinen Wohnung in Wien. Ihr Mann, ein Arbeiter, war von der Wehrmacht eingezogen worden. Rosalia wusste, daß Franziska Cechal eine Gegnerin des Naziregimes war. Die jüdische Schneiderin blieb eine kurze Zeit bei Franziska, zog dann aber in eine Wohnung in der Patzmanitengasse. Dort blieb sie bis zum Juli 1942. Sie wurde von der Gestapo verhaftet, konnte aber flüchten. Rosalia wandte sich erneut an Franziska. Die nahm sie auf und versteckte sie. Franziska lebte in bescheidenen Verhältnissen, versorgte jedoch Rosalia mit Nahrung und Kleidung.

Eines Tages erschien ein hoher SS-Funktionär. Er wollte eine Spende für die Winterhilfe. Franziska versteckte Rosalia im Keller und erzählte, dass sie allein in ihrer Wohnung lebe. Die Nachbarn schöpften Verdacht, dass sie irgendwen in ihrer Wohnung verstecke. Franziska musste Vorsicht walten lassen. Gelegentlich brachte sie Rosalia bei Freundinnen unter.

Rosalias Familie hatte 1938 einen zweieinhalbjährigen Buben aus dem Burgenland aufgenommen. Der wurde von der Gestapo in ein jüdisches Kinderheim überführt. Auf Ansuchen Rosalias besuchte Franzsika das jüdische Kinderheim oft und brachte den Kindern Lebensmittel, Spielzeug und Kleidung. Sie verhielt sich zu dem Buben, als wäre er ihr eigenes Kind.

Eine weitere Helferin war Maria Böhm Sie wohnte im 12. Bezirk, Theergasse 12, Stiege 5. Maria wusste, daß Rosalia mittellos war. Sie kannte auch die Gefahr, der sie sich aussetzte, als sie beschloss, Rosalia bei sich zu verstecken, um sie vor der Verhaftung durch die Gestapo zu retten. Sie handelte menschlich, ohne Gegenleistungen zu fordern.

Rosalia wandte sich auch an Anna Kucher. Die kannte sie schon vor dem Krieg. Kucher bot ihr sofort Unterschlupf an. Sie wusste, dass Rosalia nur 200 Mark besaß. Kucher war nicht begütert. Ihr Mann war Arbeiter. Sie hatte zwei kleine Kinder zu versorgen. Rosalia hatte keine Lebensmittelkarte. Anna Kucher teilte mit ihr und den Kindern das bisschen, das sie hatte. Sie versteckte Rosalia trotz der häufigen Razzien der SS. Es bestand immer die Gefahr, dass Nachbarn Kucher verdächtigten, eine Jüdin in ihrer Wohnung zu verstecken. Kucher erzählte ihnen, dass Rosalia ihre Freundin sei. Sie sei verheiratet. Ihr Mann sei eingerückt.

Die Lage wurde immer gefährlicher. Man befürchtete, dass die Polizei Anna Kuchers Wohnung durchsuchen würde. An solchen Tagen brachte Anna Kucher die verfolgte Jüdin Rosalia zu ihrer Freundin Franziska Cechal, wo sie sicherer aufgehoben schien.

Rosalias Schwester, die bei einer anderen Frau versteckt war, beging 1973 Selbstmord, weil ihre Mutter aus Theresienstadt nicht zurückgekommen war. Der von Familie Wasserstein aufgenommene Bub überlebte im jüdischen Kinderheim. Rosalia nahm ihn nach Kriegsende zu sich. Er blieb bis zu seiner Heirat bei ihr.

Aus dem Buch von Mosche Meisels: Die Gerechten Österreichs.