Rassenschande

Friedericke Buchegger – 1978
Charlotte Fritz (geb. Becher) – 1978
Olga Holstein – 1978
Alois und Josephine Kreiner – 1978
Edeltrud Posiles (geh. Becher) – 1978
Lydia Matouschek – 1978
Maria Fasching und ihre Kinder Fritz und Mitzi – 1978

 

Die Wienerin Edeltrud Becher (nach ihrer Verehelichung Edeltrud Posiles) lernte im Frühjahr 1937 in Wien den tschechischen Juden Walter Posiles kennen. Sie verlobten sich und beabsichtigten zu heiraten. Als die Nürnberger Gesetze nach dem Anschluß in Österreich in Kraft traten, mussten sie von der geplanten Heirat Abstand nehmen. Um der Judenverfolgung in Wien zu entgehen, übersiedelte Walter Posiles nach Bratislava. Edeltrud besuchte ihn von Zeit zu Zeit.

Eines Tages erschienen in der Wiener Wohnung, 9. Rögergasse 24-26, in der Edeltrud und ihre Schwester Charlotte wohnten, zwei Gestapoleute und erklärten, die Polizei hätte eine anonyme Anzeige erhalten, wonach in dieser Wohnung eine „Arierin“ mit einem Juden in „Rassenschande“ lebe. Edeltrud war zu dieser Zeit nicht zu Hause und Ihre Schwester Charlotte stritt die Anzeige entschieden ab. Die Polizei hatte keine Handhabe, aber die Gefahr, dass Walter und Edeltrud entdeckt würden, war groß. Walter war in Wien. Er wohnte bei der Schwester der Mutter Edeltruds, Lydia Matouschek, 19. Gymnasiumstraße 56.

Walter Posiles floh mit seinen Brüdern Hans und Ludwig nach Prag, wo ihn Edeltrud zwei Mal besuchte. Als die Deutschen im Juli 1942 begannen, die Juden Prags in ernichtungslager zu verschicken, entdeckten sie Walter und seine Brüder. Sie sollten nach Theresienstadt deportiert werden. Die Brüder Posiles überlisteten aber die Gestapo, indem sie aus ihrer Prager Wohnung verschwanden und einen Abschiedsbrief zurückließen. Darin schrieben sie, dass sie sich das Leben nehmen wollten.

Die Brüder Posiles beschlossen, nach Wien zurück zu kehren.

Inzwischen wandte sich Edeltruds Schwester Charlotte an ihre Freundin Friedericke Buchegger, die Beziehungen zu einem Beamten der Wiener Polizei hatte. Der arbeitete in dem zuständigen Polizeiamt, wo sich die Akte „Becher-Posiles“ befand. Fredericke überredete jenen Polizeiangestellten, die belastende Akte mit der Anzeige zu vernichten.

So konnten Walter Posiles und seine Brüder nach Wien zurückkehren. Die anonyme Anzeige war zwar verschwunden. Dennoch suchte die Gestapo überall nach den drei Brüdern Posiles. Charlotte half ihnen, Verstecke zu finden. Bevor ihr Verlobter Friedrich Kuntz zur Wehrmacht einrückte, hatte Charlotte bewirkt, dass er ihrer Schwester Edeltrud einen Raum seiner Wohnung im 7. Bezirk, Neustiftgasse 33, in Untermiete überließ. Charlotte versteckte Walter, seine Brüder und Edeltrud, anfangs ohne Wissen des Verlobten, in der leerstehenden Wohnung. Charlotte versorgte sie mit Nahrung und fand für Walters Bruder Hans Unterschlupf in Wohnungen anderer Bekannter. Der Verlobte Kuntz kam gelegentlich auf Urlaub vom Militärdienst und erfuhr, dass während seiner Abwesenheit Juden in seiner Wohnung versteckt worden waren.

Nach Wien zurückgekehrt, suchte auch Ludwig Posiles ein Versteck. Seine künftige Schwägerin Edeltrud wandte sich an ihre Bekannten Alois und Josephine Kreiner, die im 15. Bezirk, Zwölfergasse 27, wohnten. Edeltrud bat sie, Ludwig in ihrer Wohnung zu verbergen. Die Kreiners erklärten sich sofort dazu bereit. Alois und Josephine Kreiner besaßen eine Weingroßhandlung. Sie beschäftigten Ludwig bei Tag in ihrem Geschäft. In der Nacht schlief er in der Dachkammer ihrer Wohnung.

Alois Kreiner erklärte seinen Kunden, dass Ludwig ein Verwandter sei. Die hielten Ludwig für einen Arier. Es bestand dennoch Gefahr, dass einer von ihnen Verdacht schöpfen und Kreiner an die Gestapo verraten könnte. Alois und Josephine teilten mit Ludwig alles, was sie hatten und zahlten ihn sogar für seine Arbeit. Sie schickten auch immer wieder Lebensmittel an Ludwigs Brüder Walter und Hans, die in anderen Wohnungen versteckt waren. Ludwig blieb bis zum Kriegsende in der Wohnung des Ehepaares Kreiner.

Edeltrud wandte sich an Ihre Tante Olga Holstein mit der Bitte, Walter, in ihrer Wohnung zu verstecken. Olga Holstein wohnte nach ihrer Scheidung mit ihrer Schwester Lydia Matouschek und ihrem Bruder Georg in Wien 19. Gymnasiumstraße 56.

Obgleich Olga und Lydia wussten, dass die Gestapo die ganze Zeit nach versteckten Juden fahndete, versorgten und versteckten sie Walter in ihrer Wohnung. Dies war besonders schwierig, da Walter keine Lebensmittelkarte besaß. Eine weitere Gefahr war, dass ihr Bruder Georg, der in ihrer Wohnung ein- und ausging, ein aktiver Nazi war. Oft lebte auch Edeltrud mit ihrem Verlobten Walter in der Wohnung der Schwestern Olga und Lydia zusammen.

Olga und ihre Schwester Lydia nahmen sich auch der Jüdin Carola im Fischmann an, die als U-Boot ein Versteck suchte. Sie nahm Carola in ihrer Wohnung auf und versteckten sie, solange es ging.

Als Edeltrud im September 1942 Scharlach bekam und ins Triester Spital eingewiesen wurde, versorgte ihre Schwester Charlotte in ihrer Abwesenheit Walter und seine versteckten Brüder Hans und Ludwig. Charlotte heiratete nach dem Krieg einen Mann namens Fritz.

Friedericke Buchegger nahm Walters Bruder Ludwig auf und versteckte ihn. Sie sammelte Lebensmitttelkarten für die Brüder Posiles, brachte ihnen Pferdefett und Pferdewurst.

Im August 1942 erkrankte Walter schwer an Lungen- und Rippenfellentzündung. Ein Arzt, dessen Frau Jüdin war, übernahm seine Behandlung, ohne zu wissen, dass es sich um ein U-Boot handelt. Als sich die Krankheit verschlechterte wollte der Arzt Walter in ein Spital einweisen. Edeltrud wollte dies verhindern. Als der Arzt hörte, dass Walter ein U-Boot sei, brach er sofort die Behandlung ab. Friedericke vermittelte den Arzt Dr. Ernst Pick. Der war bereit, den lebensgefährlich erkrankten Walter zu behandeln, ohne ihn in ein Spital einzuweisen. Pick war jüdischer Abstammung, als Kind getauft worden und hatte eine „arische“ Frau.

Maria Fasching versteckte in den letzten Kriegsjahren den jungen Hans Posiles in ihrer Wohnung in Baden, Weilburggasse 35.

Nach seiner Rückkehr aus Prag wanderte Haus von Wohnung zu Wohnung, bis Edeltrud ihn zu ihrer Bekannten Maria Fasching nach Baden brachte. Dort schien sein Aufenthalt weniger riskant.

Maria und ihre Kinder Fritz und Mitzi sorgten für Hans trotz der ständigen Gefahr, dass die Gestapo ihn finden und sie wegen Gewährung illegaler Unterkunft eines Juden bestrafen könnte.

Hans, der Major bei der tschechischen Armee gewesen war, stahl sich oft aus dem Haus und schnitt in Baden und Umgebung der Wehrmacht die Telefonleitungen durch.

Gegen Ende des Krieges verließen Hans und Maria einmal gemeinsam die Wohnung, als die Gefahr der Entdeckung seines Unterschlupfes immer größer wurde. Sie suchten ein neues Versteck. Auf dem Weg wurde Baden von alliierten Flugzeugen bombardiert. Hans zog Maria in ein Haustor in der Weilburggasse, eine Bombe schlug unmittelbar vor ihnen ein. Hans starb auf der Stelle. Maria wurde schwer verletzt und in ein Spital eingewiesen, wo sie verstarb.

Hans hatte keine Dokumente bei sich, nur eine Phiole mit Zyankaligift. Er wurde an der Weilburggasse begraben, nach Kriegsende exhumiert und am Badener Friedhof an der Seite seines Vaters bestattet.

Inzwischen wurden die Frauen zum Rüstungsdienst eingezogen. Edeltrud stellte sieh bei der Elektrofirma Pervesler in der Kirchengasse. 1944 nahmen die Luftangriffe immer mehr zu. Anfänglich wagten Walter und Edeltrud nicht in einen Luftschutzkeller zu laufen, später gingen sie in den Rathausbunker.

Walter und Edeltrud hörten ausländische Sender und verfolgten den Vormarsch der Alliierten. Sie schrieb auf gummierten Streifen Parolen und Sprüche gegen Hitler und die Nazis, die Walter in den Straßen an frequentierten Stellen aufklebte.

Am Abend des Hittlerattentats am 20. Juli 1944, hatte Friedrich mit Ludwig dessen Bruder Walter und Edeltrud in ihrem Versteck besucht. Auf dem Heimweg wurden sie vor dem Rothschildspitz von zwei Polizisten zur Perlustrierung angehalten. Ludwig hatte nur ein Dokument bei sich, aus dem Edeltrud das verräterische entfernt hatte. Friedericke überzeugte die Polizisten, daß Ludwig ihr Verwandter sei und bei ihr wohnte. Die Sache ging gut aus.

In den letzten Tagen vor Kriegsende erhöhte sich die Gefahr von der Gestapo entdeckt und verhaftet zu werden. Walter und Edeltrud wohnten damals in Perchtoldsdorf in einer Villa, die einem Freund Walters gehörte. Die Villa wurde durch einen Granattreffer schwer beschädigt. Walter und Edeltrud befanden sich im Keller als die Russen Wien befreiten.

Als die Russen in Wien einmarschierten, ging Walter zu Fuß aus Perchtoldsdorf nach Wien. Er wurde an der Philadelphiabrücke von den Russen angehalten und musste Eisenbahnschwellen tragen. In der Abenddämmerung flüchtete er und begab sich zu dem Haus der Familie Kreiner, um sich mit seinem Bruder Ludwig zu treffen. Im Hause Kreiner fand ein berührendes Wiedersehen zwischen den beiden Brüdern statt, die den Krieg überlebt hatten.

Walter Posiles und Edeltrud heirateten 1947, wurden jedoch später geschieden.

Aus dem Buch von Mosche Meisels: Die Gerechten Österreichs.