Im Namen des deutschen Volkes

Marianne Goltz-Goldlust (posthum)

 

Marianne Goltz-Goldlust (geb. Pelokostolzki) wurde am 31. Jänner 1895 in Wien geboren. Ihr Vater war ein bekannter Kapellmeister. Sie war Schauspielerin, die mit großem Erfolg von 1918 bis 1933 an verschiedenen Bühnen und in Salzburg als Operettensängerin tätig war. 1924 lernte sie ihren vierten Mann, den Journalisten Hans Werner Goltz-Goldlust kennen. Er war Jude. Sie heirateten am 21. Mai 1929 in Berlin. Zwei ihrer drei früheren Ehemännern waren ebenfalls Juden.

Hans und Marianne lebten bis 1937 in Wien. Sie waren Gegner des Nationalsozialismus. Als sie die Gefahr sahen, dass die Nazis sich auch Österreichs bemächtigen könnten, beschlossen sie 1937 nach Prag zu fliehen. Aber hier erreichten die Deutschen sie beim Einmarsch 1939. Als Hans befürchtete von den Deutschen verhaftet und verschickt zu werden, flüchtete er über Warschau nach England. Marianne sollte nachkommen.

Nach der Flucht ihres Mannes schloss sich Marianne 1940 einer aus tschechischen Juden und Christen bestehenden antinazistischen Untergrundbewegung an. Ihre Wohnung wurde zu einem regelmäßigen Treffpunkt von Oppositionellen. Marianne nahm engen Kontakt zu Leuten auf, die gefährdeten Juden und Regimegegnern illegal über die Protektoratsgrenze und später nach Italien zur Flucht verhalfen. Sie rettete viele Juden und schickte den Flüchtlingen regelmäßig Geld ins Ausland.

Durch eine Denunziation flog die Gruppe auf. Marianne wurde 1942 verhaftet und inhaftiert. Am 18. Mai 1943 wurde Marianne Goltz-Goldlust „im Namen des deutschen Volkes“ vom deutschen Landgericht in Prag wegen Teilnahme an reichsfeindlichen Unternehmen, Begünstigung von Reichsfeinden, finanzieller Unterstützung von Juden und wegen Hilfe, Juden mit gefälschten Pässen außer Landes zu bringen, zum Tode verurteilt.

Im Urteilsspruch hieß es: „Die Angeklagte hat sich mit agiler Geschäftigkeit in jüdischen Kreisen umgetrieben und sich für ihre jüdischen und halbjüdischen Freunde eingesetzt. Sie hat nicht aus einer Zwangslage sondern aus innerer Neigung heraus gehandelt. Ihrem Bestreben, sich ihren jüdischen Freunden gefällig zu erweisen, entspricht ihrer feindseligen Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat.“

Fünf Monate lang befand sich Marianne mit anderen Frauen zwischen ihrem Todesurteil und ihrer Hinrichtung in der Todeszelle 38 im Prager Pangraz-Gefängnis. Sie bewahrte ihren Stolz und ihren Mut. Trotz Hunger und Unterernährung weigerte sie sich, mit dem Wachpersonal zu verhandeln. Sie teilte ihre kärglichen Rationen mit ihren Zellengenossinnen.

In ihrer Zerrissenheit zwischen Hoffnung, Trauer und Verzweiflung, schickte Marianne eines Tages, im Essen versteckt, einen Brief an die Nachbarzelle. Sie schrieb, wer diesen Brief beantwortet, solle ihr Liebhaber sein, dem wolle sie alle Liebe schenken.

Der Gefangene Dr. Richard (Risa) Macha von der Zelle 41 antwortete auf diesen Brief und zwischen beiden entstand ein täglicher Briefwechsel. Es waren zärtlich, sinnlich und liebevoll gefärbte Liebesbriefe zwischen zwei zum Tod Verurteilten in einer tragischen Atmosphäre. Marianne hatte Risa nur einmal flüchtig gesehen. Sie schrieb ihm über die politische Situation, über ihr Leben, über die Frauen in der Zelle, über ihre Trauer und über ihre Liebe. Sie schickte ihm täglich fast die Hälfte ihrer Ration.

Die Briefe, darunter auch Briefe an ihre Schwester Rosa Haala nach Wien, wurden vom Tschechen R. Karel, der von den Deutschen im Prager Gefängnis als Fotograf angestellt war, heimlich weitergeleitet. Karel veröffentlichte nach dem Krieg das Buch „Ich klage an“ in dem er auch den Briefwechsel zwischen Marianne und Risa wiedergibt.

In einem Brief an ihre Schwester Rosa berichtete Marianne: „Ich liebe hier einen jungen Doktor und er liebt mich. Wir kennen uns nicht. Es handelt sich um eine außerweltliche, seelische Liebe. Wir haben uns nur einmal gesehen, aber er braucht meine Phantasie und ich seine, damit wir diese schrecklichen Tage überstehen. Diese Liebe verschönert uns beiden das Leben und ich weiß schon, dass der kommende Freitag sein „großer Tag“ (Tag der Hinrichtung) sein wird. Die letzten Tage sind erträglich. Es herrscht Hoffnung. Wir hoffen, dass bald der Friede kommt. Das verhindert Selbstmordversuche. Die Frauen hoffen auf Begnadigung, so dass sie keine Selbstmordversuche unternehmen werden“.

In seinem Abschiedsbrief vom 6. Oktober 1943 schrieb Dr. Risa an Marianne: „Das was zwischen uns beiden stattfand war ein Gefängnistraum und auch der schönste Traum der Welt bleibt doch ein Traum. Ich habe Dich sehr gerne gehabt. In dir hatte ich eine gute Freundin, die mich verstand und es hat mir sehr, sehr viel bedeutet. Ich danke Dir vielmals dafür“.

In Ihrem Abschiedsbrief an ihre Schwester Rosa vom 5. Oktober 1943 schrieb Marianne: „Ich kann Dir nur mitteilen, daß ich das Spiel unseres Überlebens verloren habe. Ich werde versuchen als Heldin abzutreten. Das Sterben ist hier etwas Alltägliches. Das Leben war bis auf die letzten zwei Stunden schön. Bis zum letzten Augenblick habe ich sogar Liebesbriefe erhalten. Bis zum letzten Augenblick war ich glücklich. Ich hoffe, der Tod entstellt mich nicht. Ich habe alles getan, daß mein Tod eines Tages gerächt wird“.

Am 8. Oktober 1943 wurde Marianne Goltz-Goldlust hingerichtet. Sie wurde in bewußtlosem Zustand zur Hinrichtung geschleppt. Sie hatte vorher versucht, sich mit Gift umzubringen, um im Tod wenigstens ihren Körper für sich zu behalten. Obwohl Marianne durch die Gifttabletten schon im Koma lag, schleppten die Wachtmeister sie in den Hinrichtungsraum.

Im November 1987 strahlte der Norddeutsche Rundfunk in Hamburg einen Film über Marianne Goltz-Goldlust aus. Inn gleichen Jahr erschien im Gabriele Walter-Verlag in Stuttgart ein Buch „Der große Tag“, über Mariannes Leben und Briefe.

Marianne Goltz-Goldlust wurde 1988 vom Yad Vashem posthum mit dem Titel „Gerechte der Völker“ geehrt.

Aus dem Buch von Mosche Meisels: Die Gerechten Österreichs.