Flucht aus dem Gefängnis

Wanda Bottesi – 1980
Karl Dickbauer – 1980
Anton Dietz – 1990
Erwin Lutz – 1980
Rudi Moser – 1980
Wolfgang Neuschmidt – 1980
Maria Petrykiewicz – 1980
Maria Stocker – 1980

 

Der Innsbrucker Polizeiinspektor Karl Dickbauer und seine Kollege Anton Dietz wurden im Sommer beauftragt einen Transport für Häftlinge des Innsbrucker Gefängnisses nach Auschwitz vorzubereiten.

Unter den 88 Häftlingen befanden sich fünf polnische Jüdinnen Lorraine Justmann-Visnicky, Mirjam Fuchs, Paulina Janaszewicz, Regina Litmann-Rundbaker und Ruth Litman-Eisenberg. Sie waren am 13. März 1944 von der Gestapo verhaftet worden, nachdem sie sich als christlich-polnische Fremdarbeiterinnen ausgegeben hatten. Die fünf Mädchen waren bereits für eine Deportation in ein KZ vorgesehen. Sie wandten sich an den im Gefängnis arbeitenden Meister Wolfgang Neuschmidt um Hilfe. Neuschmidt sprach bei seinem Vorgesetzten Karl Dickbauer für die Mädchen mit der Begründung vor, daß sie für den Küchendienst im Gefängnis benötigt werden.

Der Polizist Erwin Lutz war im Sommer 1944 Küchenchef im Innsbrucker Gefängnis. Er beschloß zusammen mit dem Innsbrucker Kriminalpolizisten Rudi Moser die Mädchen zu retten und überredete seine Vorgesetzten, die Papiere der Mädchen verschwinden zu lassen und sie für den Dienst in seiner Küche einzusetzen. Lutz sorgte für anständige Nahrung für die Mädchen und behandelte sie gut.

Polizeiinspektor Dickbauer ließ die Papiere der Mädchen verschwinden. Sie wurden nicht in den Transport nach Auschwitz eingeschlossen, blieben im Gefängnis und wurden in der Gefängnisküche beschäftigt. Als der Verschickungsbefehl eintraf, beteiligte sich auch Moser daran, die Papiere der Mädchen verschwinden zu lassen und sie in der Gefängnisküche zu beschäftigen, was sie vor dem Transport rettete.

Als am 18. Jänner 1945 der Befehl eintraf, alle Insassen des Gefängnisses ins KZ Bergen-Belsen zu transportieren, wurde Dickbauer angegangen, bei der Flucht der Mädchen aus dem Gefängnis behilflich zu sein. Dickbauer zögerte nicht. Der Kriminalpolizist Rudi Moser bot ebenso seine Hilfe an, die Mädchen zu retten. Lorraine Justman-Visnicki und Mirjam Fuchs gelang es in der Nacht mit Hilfe der Polizeiinspektoren Dietz und Dickbauer, aus dem Gefängnis zu entkommen. Lutz bot ihnen als ersten Zufluchtsort seine Wohnung in der Ahorndorfstraße 3 an.

Der Kriminalpolizist Rudi Moser hatte sich vor der Flucht der Jüdinnen an Maria Stocker mit der Bitte gewandt, die beiden Mädchen in ihrer Wohnung aufzunehmen und zu verstecken. Maria war sich dessen bewußt, welche Gefahr es für sie bedeutete, zwei jüdische Flüchtlinge aus dem Gefängnis in ihrer Wohnung zu verbergen. Dennoch willigte sie sofort ein. Als die beiden Mädchen in ihrer Wohnung eintrafen, umarmte sie sie mit den Worten: „Gott sei Dank, ihr seid hier meine lieben Kinder“. Nach einigen Wochen stellte sich heraus, daß die Gestapo die Spuren der beiden Jüdinnen verfolgte. Sie mußten die Wohnung wechseln.

Die Innsbruckerin Wanda Bottesi rettete im Sommer 1944 die beiden Jüdinnen ebenfalls vor der Verschickung in ein KZ.

Wanda Bottesi und ihre Mutter Maria Petrykiewicz hatten Lorraine Justman-Visnicki und Mirjam Fuchs in ihre Wohnung in der Ing. Etzelstraße 28 aufgenommen und wochenlang versteckt. Die beiden Jüdinnen sollten vom Innsbrucker Gefängnis ins KZ Bergen Belsen überführt werden. Polizeiinspektor Anton Dietz, ein Bekannter Wandas, hatte den versteckten Mädchen gefälschte Papiere besorgt. Sie waren auf die Namen Christine Chruscik und Wanda Stolorezyk ausgestellt und gaben sie als polnische Christinnen aus. Dietz hatte angegeben, daß die beiden polnischen Christinnen ihre Papiere auf ihrem Weg von Polen nach Österreich verloren hätten. Mit den neuen Identitätsausweisen erhielten die Mädchen durch einen Bekannten im Innsbrucker Arbeitsamt Arbeitskarten als christlich-polnische Fremdarbeiterinnen.

Wanda, von Beruf Kosmetikerin, färbte den Mädchen die Haare, um ihnen ein anderes Aussehen zu verleihen. Wanda wandte sich auf Bitten der Mädchen wieder an Polizeiinspektor Dietz, damit die Mädchen ins Salzburger Dorf St. Martin gebracht werden könnten. Wanda schmuggelte die beiden Mädchen nach Salzburg. Als polnische Fremdarbeiterinnen überlebten sie den Krieg.

Bevor die Jüdin Ruth Litman-Eisenberg in ein Arbeitslager für Ausländer in der Nähe von Innsbruck überführt wurde, versorgte sie Neuschmidt mit gefälschten „arischen“ Papieren und schärfte ihr ein, sich unter keinen Umständen als Jüdin auszugeben. Damit rettete er ihr Leben.

Die übrigen zwei Mädchen folgten ihnen nach kurzer Zeit. Als den Versteckten Gefahr drohte, wandte sich Wanda Bottesi wieder an Dietz um Hilfe. Dieser kam selbst und brachte neue Papiere mit seiner Unterschrift und dem Stempel der Innsbrucker Polizei mit.

Mit diesen Dokumenten konnte Wanda für sie Arbeitskarten bekommen. Lorraine Visnicki und Mirjam Fuchs begannen im Salzburger Dorf St. Martin als polnische Fremdarbeiterinnen zu arbeiten. Vor ihrer Flucht hatte sie die Innsbruckerin Maria Petrykiewicz mit ihrer Tochter Wanda zwei Wochen lang am vierten Stock versteckt. Maria Petrykiewicz hielt sie auch während der häufigen Bombenalarme in ihrer Wohnung.

Die drei anderen jüdischen Mädchen, die im Innsbrucker Gefängnis waren, wurden auf ähnliche Weise gerettet. Auch Paulina Janaszewicz, Regina Litman-Rundbaker und Ruth Litman-Eisenberg kamen nach St. Martin und arbeiteten dort bis zum Kriegsende.

Aus dem Buch von Mosche Meisels: Die Gerechten Österreichs.