Faschistische Familie

Maria Grausenburger – 1978 (posthum)

 

Ende 1944 befanden sich Häftlinge aus Ungarn in einem Arbeitslager in Floridsdorf. Sie verrichteten in Wien Zwangsarbeit. Unter ihnen war die Familie Weiss aus Debrezin, die 50-jährige Mutter Elena mit ihren drei Kindern, der 18-jährige Ernst, der 14-jährige Tibor und ihre kleine Schwester. Der Vater, ein Tischler aus Debrezin, wurde vorher von den Deutschen verhaftet, und nach Bergen Belsen deportiert, wo er den Tod fand.

Eines Tages ordneten SA-Männer den Häftlingen des Lagers Floridsdorf an, zu Fuß in das Lager Mauthausen zu marschieren. Auf dem Weg gelang es der Familie Weiss aus der Kolonne zu entschlüpfen, als sie sich im Dorf Grafenwörth befand. Eine Bauernfamilie im Dorf versteckte die Flüchtlinge. Am nächsten Tag teilten die Bauern Frau Weiss mit, dass die Gefahr von Deutschen entdeckt zu werden, groß sei. Sie könnten nicht bleiben.

Frau Weiss wandte sich an die gegenüber wohnende Bäuerin Maria Grausenburger, eine „Kriegerwitwe“, die mit ihrer Tochter auf dem Bauernhof wohnte. Frau Grausenburger willigte sofort ein, nahm die Familie Weiss in ihrem Haus auf und versorgte sie einige Tage mit Essen. Die Familie Weiss wollte Frau Grausenburger und ihre Tochter nicht gefährden. Die jüdische Familie schlug vor, daß die mutige Bäuerin sich an den Bürgermeister von Grafenwörth wenden sollte, um ihm zu erzählen, daß in ihrem Haus eine faschistische Familie aus Ungarn untergekommen sei. Jene Ungarn seien vor den Russen geflohen und wollten im Dorf bleiben, um zu arbeiten. Frau Grausenburger erhielt das Einverständnis des Bürgermeisters. Die Familie Weiss nahm den typisch ungarischen Namen Varga an. Sie erhielt offizielle Ausweise auf den erfundenen Namen und Arbeit im Dorf.

Als sich die russische Front näherte, sammelten die Deutschen alle Fremden in Grafenwörth und Umgebung und überführten sie in das Gefangenenlager Gneisendorf.

Ernst Weiss malte gut und gerne. Er zeigte einige seiner Bilder dem Lagerkommandanten und machte Porträts von ihm. Der fand Gefallen an dem Jungen. Er ließ die Familie Weiss mit den Grafenwörther Registrierungspapieren frei.

Die Familie Weiss kehrte in das Haus von Frau Grausenburger nach Grafenwörth zurück. In allen Häusern des Dorfes hatten sich inzwischen deutsche Soldaten einquartiert. Bei den Grausenburgers wohnten sechs Soldaten. Trotzdem nahm sie die Familie Weiss wieder auf und versteckte sie im Keller. Als Nachbarn sie verdächtigten, dass sie Juden in ihrem Haus versteckt halte und mit einer Anzeige drohten, behielt sie die Familie Weiss dennoch im Haus. Sie erklärte ihr Verhalten: „Ich habe Angst, daß sie eine Frau mit drei so prächtigen Kindern töten würden. Ich sorge dafür, dass sie am Leben bleiben“.

Die Familie Weiss konnte bei Frau Grausenburger drei Monate lang bis zum Einrücken der russischen Truppen bleiben.

Für ihre Heldentat wurde Maria Grausenburger 1978 vom Yad Vashem in Jerusalem die Ehrenmedaille einer „Gerechten der Völker“ verliehen. Sie hat jedoch die Zeremonie ihrer Ehrung nicht mehr erlebt.

Aus dem Buch von Mosche Meisels: Die Gerechten Österreichs.